Corinne Gmür

Die Vorgeschichte:

In der BILANZ las ich im November 2021 von Avanzar. Die Idee Frauen mit dem Geld zu fördern, das über den online Shop gesammelt wird, fand ich super. Ich wollte Margarita Forster, die Präsidentin der Stiftung, kennen lernen. Begegnet bin ich einer sympathischen offenen Frau mit dem unverkennbaren südamerikanischen spirit of life. Wir verstanden uns sofort.

Damit kam ich meinem Herzenswunsch, für ein Projekt im Ausland zu arbeiten, einen wichtigen Schritt näher. Margarita fand, dass meine Physiotherapie-Kenntnisse bestens Anwendung finden können.

Da kommen natürlich sofort die inneren Zweifel, ob ich denn genug Kenntnisse hätte für eine solche Aufgabe in der Stiftung? Reicht denn mein Spanisch?

In Videokonferenzen mit Marcela, der Koordinatorin in Cuenca, versuchten wir, unsere Ideen in eine Form zu bringen. Erstens soll ein Massagekurs für Frauen stattfinden. Zweitens soll eine Einigung mit einem Altersheim gefunden werden, die Betreuerinnen in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Drittens gibt es noch eine Idee Kinder therapeutisch zu betreuen. 

Cuenca

Eine wunderschöne auf 2550m ü.M. gelegene Stadt empfängt mich mit viel Charme. Ein tolles Strassenfest, an dem sich die Leute mit den verschiedensten Handarbeiten präsentieren, Musikanten Latino Rhythmus verbreiten und Essstände die lokalen Spezialitäten zubereiten, ist im Gange. Mein Studio liegt auf der einen Seite direkt neben der grossen Altstadt mit den vielen Kirchen und Kathedralen und gemütlichen Restaurants und dem grossen Mercado. Indigene Menschen schmücken in ihren originellen Kostümen und Gewändern das Strassenbild! An der Strasse wird alles verkauft, was geerntet wirdAuf der anderen Seite bin ich nur eine lange Treppe vom Fluss Tomebamba gelegen, perfekt für schöne Spaziergänge und Joggingrunden. Mein erster Eindruck und das Wohlgefühl verführen mich zu dem Gedanken:

What’s wrong? Wieso bin ich hier?

Ist die Brücke mit den lila Sonnenschirmen der Hinweis? Sonnenschirme für weibliche Todesopfer häuslicher Gewalt?

 Oficina Avanzar

An meinem ersten Arbeitstag bei Avanzar, Simon Bolivar 12-30, lerne ich das Team um Marcela kennen. Es herrscht emsiges Arbeiten im Raum der Handarbeiterinnen. Da also entstehen diese tollen Taschen, überall liegen Muster in allen Farben und Formen – es wird gehäkelt und gewoben, was das Zeug hält – Weihnachten ist ja nicht mehr weit weg.

Da befindet sich auch ein grosser Raum, einem Patio gleich, in dem die Massagekurse stattfinden sollen. Lali wird mir helfen, die gemieteten Massagebetten aufzustellen, Bezüge und Kissen zu kaufen, Beamer an den Start zu bringen und die Präsentationen zu testen – Alles gut! Es kann losgehen! 

Wieder beschleichen mich Zweifel: Kann ich denn alles auf Spanisch 3 Stunden erzählen. Kann ich die Anatomie gut genug erklären... was wollen die Frauen als Informationen nach Hause nehmen? Schlaflose Nächte sind programmiert...    

Ich lerne in 2 Kursen 20 Frauen kennen, die sehr interessiert und aufmerksam meinen Erläuterungen folgen und Massage lernen wollen, weil sie diese in der Familie oder am Arbeitsplatz als Hilfspflegerinnen anwenden wollen.  

Es ist ein schönes Erlebnis mit den Frauen zu arbeiten. Sie wollen viele Fragen beantwortet haben, sie haben auch ihre eigenen Beschwerden und sind dankbar für eine Behandlung von mir nach dem Unterricht, aber auch für Hinweise in Dehnen, Turnen, Selbstmassage etc    

Am letzten Tag, 25.11.2022 bekommt jede Frau ein Zertifikat für die Teilnahme – es war der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“.  

Marcela hielt einen bewegenden Vortrag: Sie motivierte die Frauen, die Gewalt zu Hause nicht zu akzeptieren, sich Hilfe zu holen, sich abzusetzen und die Männer anzuzeigen. Sie sollten dranbleiben sich auszubilden und sich selbständig machen und nicht nachzulassen. Bei Avanzar finden sie Unterstützung für alles, was sie brauchen: Hilfe zur Selbsthilfe, Ausbildung, Arbeit, Kredit, Hilfe zum Start eines Geschäftes.

Es kommen Stimmen von misshandelten Frauen durch: Psychische und physische Misshandlung über Jahre bis sich eine Frau durchringt, die Familie auseinanderbrechen zu sehen, um für sich selbst, das Unrecht, die eigenen Gefühle und die Freiheit einzustehen. Ich fühle eine grosse Solidarität und eine Gefühlsverbindung mit diesen Frauen. Andere Stimmen sprechen von der ecuadorianischen Frau, dass sie so viel Härte zeigen, wie sie kämpfen um ein Einkommen und dabei die Gefühle auf der Strecke bleiben. 

Es kommt auch die Stimme einer Frau, die den Missbrauch lange hinter sich hat. Sie hat sich entschieden, nicht da zu bleiben, wo sie nicht respektiert wird und hat sich befreit. Sie hat eine neue Definition zu Familie gefunden in grösserem Umfang, nicht Vater/ Mutter/Kinder, sondern eine Generation übergreifende Familie von Geschwistern, deren Kinder und den Eltern. Der weitere Weg war die Erkenntnis, dass Frieden nur über Vergebung stattfinden kann. Immer wieder zu lernen zu vergeben, die Situation der Männer anzuerkennen und zu erkennen aus welchen Motiven sie so handeln. Vom Massagekurs nimmt sie mit, wie wichtig Berührung ist und dass sie das in der Familie teilen möchte -  mit allen.

Ich bin die darauffolgenden Tage durch die Strassen gegangen und fühlte eine grosse Veränderung in mir. Wie doch so wenig etwas bewirken konnte! Wie ich mich als Frau mit den anderen Frauen verbunden fühlte! Wie noch Tage danach die Frauen sich bedankten mit Geschenken, Umarmungen direkten Worten -  und wie sie jeden Tag wieder losgehen und richtig viel arbeiten!


Mein Herz war erfüllt von diesen schönen Erfahrungen.

JEDER KANN ETWAS BEWIRKEN, TEILEN, SICH MITTEILEN. 

JEDER KANN SICH ÖFFNEN EINER ANDERN WELT UND ANDERN MENSCHEN.

JEDER KANN ETWAS LERNEN.

WAS ZURÜCKKOMMT IST EIN GESCHENK.

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Lotte

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Eliane Bähre